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Umgang mit den neuen Leitentscheiden des Bundesgerichts in der Mediation und im CLP-Verfahren

Das Bundesgericht hat in den letzten Jahren verschiedene Entscheide so formuliert, dass sie Allgemeingültigkeit erhalten haben und nun als Leitentscheide besprochen werden.

In jüngst veröffentlichten Entscheiden hat das Bundesgericht wichtige Fragen zum Unterhaltsrecht geklärt und teilweise die bisherige Praxis geändert. Zur Berechnung sämtlicher Arten von Unterhalt für Kinder oder Ehegatten ist künftig nur noch eine bestimmte Methode anzuwenden. Zudem nimmt das Bundesgericht eine Praxisänderung bei der Frage vor, wann einem Ehegatten nach der Trennung oder Scheidung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zuzumuten ist und in welchen Fällen von einer lebensprägenden Ehe auszugehen ist.


Insgesamt werden nun (in traditionellen Konstellationen) Ehefrauen und Mütter nach der Trennung oder Scheidung vom Bundesgericht stärker und früher in die Pflicht genommen, zum Einkommen der Familie beizutragen.


In der parteilichen Rechtsberatung können diese neuen Wertungen der/dem Klient*in so erklärt und später im Verfahren berücksichtigt werden. Aber wie gehen wir in der Mediation oder im CLP-Verfahren damit um, wenn neue Leitentscheide vom Bundesgericht publiziert werden und einen Anker in der Verhandlung zwischen den Ehegatten setzen?


Das Gesetz und die Rechtsprechung (und Neubewertungen) haben aus meiner Sicht zwei wichtige Funktionen in einvernehmlichen Streitbeilegungsverfahren: eine Begrenzungsfunktion und eine Wegweiserfunktion:


Begrenzungsfunktion

Durch das Gesetz werden Leitplanken gesetzt. Wer sich beim Verhandeln zu weit links oder rechts von der Mitte bewegt, gerät in einen Graubereich oder in eine rote Zone. Nicht alle Vertragsinhalte können legal vereinbart werden. Ein*e Richter*in würde bei der Überprüfung einer Scheidungsvereinbarung unangemessene Vertragsinhalte als ungültig erklären. Innerhalb dieser Leitplanken, die in den meisten Fällen sehr grosszügig angelegt sind, bestehen jedoch viele Verhandlungsmöglichkeiten und Freiheiten. Auch in der Mediation sind zwingende Vorschriften zu respektieren. Als Mediator und Rechtsanwalt spreche ich die Parteien darauf an, wenn ich der Auffassung bin, dass ein Gericht ihre Abmachungen möglicherweise nicht genehmigen könnte.


Wegweiserfunktion

Andererseits ist das Recht ein in unserer Gesellschaft gewachsenes Wertesystem, in dem Regeln für Durchschnittsbürger und Normalfälle entwickelt und demokratisch legitimiert für gut befunden wurden. Diese Regeln können Orientierung verschaffen, wenn man selbst nicht genau weiss, was man "fair" finden soll. Wenn man das Recht besser kennt, kann man auch informierte Entscheidungen treffen und ist besser in der Lage, zu verhandeln und einer ausgehandelten Gesamtlösung zuzustimmen. Dieses Wissen kann auch in der Mediation und im CLP-Verfahren vermittelt werden. Weil es gerade im Familienrecht viel richterliches Ermessen gibt, ist es nicht möglich, präzise Angaben dazu zu machen, wie ein Gericht entscheiden würde. Es ist jedoch möglich, die grosse Bandbreite zwischen den "Leitplanken des Gesetzes" auf ein schmaleres Band eines zu erwartenden Richterspruches einzugrenzen. Die neuen Leitentscheide des Bundesgericht haben dieses schmale Band ein Stück weit verschoben. Ob die Parteien in der Mediation am Ende diesem Wegweiser folgen wollen oder sich für eine andere Lösung entscheiden, ist ihnen überlassen.


Umgang mit neuen Leitentscheiden in der Mediation und im CLP-Verfahren

An die neuen Leitentscheide des Bundesgerichts müssen sich die Parteien in einer Scheidungsmediation also nicht halten. Sie können weiterhin eigene Werthaltung einnehmen und ihren ganz besonderen Einzelfall untereinander aushandeln. Zum Beispiel bespricht das Bundesgericht im Leitentscheid aus dem Jahr 2018 zu den zumutbaren Arbeitspensen der Mutter je nach Schulstufe des jüngsten Kindes nicht, wie viele Kinder vorhanden sind, ob diese Kinder gesund sind oder ob sie besondere Anforderungen haben. Dass es aber im Einzelfall einen Unterschied machen kann, ob man ein einfaches Kind oder vier anspruchsvolle Kinder hat, ist klar. Möglicherweise haben beide Elternteile zu diesem Punkt ähnliche Ansichten und möchten sich auf eine eigene Lösung einigen.


Jedoch können die neuen Wegweiser des Bundesgerichts, also die jüngsten höchstrichterlichen Wertungen, in der Mediation und im CLP-Verfahren nicht ignoriert werden, wenn unterschiedliche Auffassungen zu Themen wie der Höhe der Arbeitspensen bestehen. Dass z.B. der Eigenverantwortung beider Ehegatten nach der Scheidung ein grösserer Stellenwert zukommt, muss diskutiert werden. Diese Eigenverantwortung ist auf der einen Seite als Pflicht der*dem geschiedenen Ehepartner*in gegenüber ausgestaltet. Diese Neubewertung verändert den Ausgangspunkt der Verhandlung zwischen den Parteien.


Gerade in der Mediation und im CLP-Verfahren besteht aber auch die Möglichkeit, die damit einhergehenden Chancen zu besprechen und sich die Frage zu stellen, wie man im Einzelfall mittelfristig die Voraussetzungen für die Eigenversorgung beider Ehegatten schaffen kann (z.B. durch die Ermöglichung einer Weiterbildung o.ä.).


Insofern kann man sich in aussergerichtlichen Verfahren von den Werturteilen der Rechtsprechung lösen und vielmehr auf die Interessen und Bedürfnisse der eigenen Familie eingehen.


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